Nachtzug nach Luxor - oder: "Es ist eklig und joa..."

Hier kommt der dritte Teil meiner großen Ägypten-Saga!  In diesem Teil dreht sich alles um die Nachtzugfahrt von Kairo nach Luxor – und natürlich um die Frage, ob meine Idee, die Wüste in einem schaukelnden Zug zu durchqueren, wirklich so genial war, wie ich dachte.

Falls du Teil 1 und 2 noch nicht gelesen hast, schau doch vorher mal rein, du willst schließlich wissen, wie das Ganze angefangen hat, bevor du dich in diesem Abenteuer wiederfindest:

Zug Luxor. Männer fahren ohne Ticket mit

Prolog

Es gibt viele Arten, die Welt zu entdecken. Die meisten Menschen steigen in ein Flugzeug, landen irgendwo und setzen sich dann in ein Hotelzimmer, das genauso aussieht wie das letzte.

Aber so etwas kommt mir nicht in die Tüte! Ich will nämlich die coole, authentische Backpackerin sein. Die, die wirklich reist und sich nicht einfach im Flugzeug von A nach B befördern lässt. Deswegen (und weil ich Flugangst habe) haben mein Freund und ich uns auf unserer Ägypten- Reise entschieden, von Kairo nach Luxor mit dem Nachzug zu fahren.

In meinem Kopf habe ich mir natürlich Wochen zuvor schon die komplette Szenerie ausgemalt:

Wir sitzen im Speisewagen, der Zug ruckelt ruhig durch die Nacht, draußen erstreckt sich die Wüste im Mondschein. Der warme Wind zerzaust mir die Haare, während ich aus dem Fenster schaue.

Überall polierte Holzvertäfelungen, schwere Vorhänge, nostalgische Lampen – ein Hauch von Orientexpress, aber auf ägyptisch. Wer kann schon sagen, dass er mit einem Nachtzug durch die Wüste gereist ist? Das ist keine Urlaubsreise, das ist eine Geschichte, die man später erzählen kann – und die lest ihr jetzt…

Ich möchte diesen Gürtel nicht kaufen

Das Taxi hält vor dem Hauptbahnhof in Kairo. Leider hat uns nicht Mohamed gefahren, sondern nur ein 0-8-15-Uber-Fahrer. Wir denken noch oft an Mohamed und er an uns – schließlich schickt er uns regelmäßig Youtube-Musikvideos von den Hits der ägyptischen Charts. Was wir davon halten sollen, wissen wir nicht, wir tun es aber als nette Geste ab.

Der gesamte Bahnhofsvorplatz ist ein riesiger Markt, auf dem sämtliche Händler ihre Waren anbieten. Unweigerlich halte ich schon beim Aussteigen nach dem Marlboro-Polizisten Ausschau.

Wir setzen unsere Rucksäcke auf und bahnen uns unseren Weg durch die Ansammlung von Straßenhändlern. Von überall ruft es Shakira und good price. Seitdem ich erfahren habe, dass so ziemlich jede Frau, die Puls hat, als Shakira tituliert wird, nehme ich das nicht mehr als Kompliment. Ich bin schließlich eine einzigartige Persönlichkeit mit viel Charme und Esprit und nicht irgendeine Shakira von vielen. Ich ignoriere alle Rufe. Nicht mit mir. Das können die wissen!

Kurz vor Erreichen der Bahnhofshalle will mir ein Mann einen Gürtel verkaufen. Ich bleibe standhaft.

Am Eingang des Bahnhofs erwartet uns eine Sicherheitskontrolle, die wir ohne Probleme meistern. Anschließend kommt ein Polizist auf uns zu und will unsere Tickets sehen. Unweigerlich komme ich mir kriminell vor. Während er unsere Tickets checkt, werde ich nur noch nervöser und versuche einen möglichst gesetzestreuen Eindruck zu machen. Mit den Polizisten ist nicht zu spaßen, weiß ich und frage mich, ob es vielleicht Sinn gemacht hätte, mich an den Pyramiden auch im Sommerkleid neben den Marlboro-Polizisten zu setzen. Dann hätte ich jetzt einen Kontakt, wenn es gleich hart auf hart kommen sollte.

Der Polizist gibt uns unsere Tickets zurück und winkt uns durch. Wir betreten den Bahnhof.

Hose der Schande

Im Bahnhofsgebäude selbst herrscht mindestens genauso viel Gewusel wie auf dem Platz davor. Wir stehen da und sind heillos überfordert. Glücklicherweise sind die die Ägypter sehr hilfsbereit; am laufenden Band kommen Einheimische zu uns, die uns anbieten, uns das richtige Gleis zu zeigen. Eigentlich eine nette Geste, doch die Erinnerungen an den fotografierenden Palituchmann und die verlorenen 30€ sind zu frisch, der Schmerz sitzt noch zu tief und so wimmeln wir aus Angst, wieder übers Ohr gehauen zu werden, alle potentiellen Helfer ab.

Stattdessen fragt mein Freund einen  Polizisten nach dem Weg – und dieser zeigt uns das Gleis, ohne Bakschisch zu verlangen.

Wir warten geduldig an unserem Gleis auf die Ankunft des Zuges. Der Bahnhof sieht schäbig aus. Beinahe wie ein Ort, an dem Horrorfilme spielen würden, denke ich noch, bevor ich meinen Kopf schüttele, um diesen Gedanken zu vertreiben. Weltoffen bleiben!, ermahne ich mich. Das ist das echte Ägypten, fernab von großen Hotelbunkern, erinnere ich mich und fühle mich dann doch fast wie ein Local.

Fast. Denn so, wie mich die Menschen auf dem Bahnsteig mustern, scheine ich eher eine Kuriosität zu sein. Ich brauche ein paar Sekunden, um den Grund zu erkennen – dann trifft es mich wie ein Schlag.

Meine Hose.

Im klimatisierten Hotelzimmer hatte ich ein paar Stunden zuvor noch große Klappe gehabt: „Bei der Hitze ziehe ich bestimmt keine lange Hose an! Niemand kann von mir verlangen, mich diesen patriarchalen Regeln zu beugen. Es sind 40 Grad. Das ist unmenschlich.“

Jetzt stehe ich hier, in meiner kurzen Shorts, und ernte Blicke, die irgendwo zwischen Tadel und blankem Entsetzen schwanken.

Ich versuche, mir einzureden, dass ich mir das nur einbilde. Aber nein. Großmütter schauen mich entgeistert an. Ein Mann wirft mir einen Blick zu, als hätte ich persönlich die Moral zu Grabe getragen. Ein anderer spuckt angewidert neben mir auf den Boden.

In meinem Hirn rotiert es. Ist das nur Missbilligung – oder gibt es hier Regeln, die ich gerade breche? Kann man dafür eine Strafe bekommen? Muss ich ins ägyptische Gefängnis? Wenn ja, kann man sich da freikaufen? Wie viel Geld hat mein Freund auf dem Konto? Wird es für meine Kaution reichen?

Dann rollt der Zug ein. In meinem Kopf erklingt epische Filmmusik, als wäre dies der Beginn eines legendären Abenteuers. Die Türen öffnen sich. Ich steige ein, bereit für die große Fahrt.

Gleich werde ich im stilvollen Speisewagen sitzen, mit einem Glas Tee in der Hand, während draußen die Wüste in geheimnisvollem Mondschein versinkt, weiß ich. Gleich werde ich lässig am offenen Fenster lehnen, der warme Nachtwind zerzaust mein Haar, denke ich und fühle mich kosmopolitisch.

Vom Leben betrogen

Mit dem Rucksack auf dem Rücken drängeln wir uns durch den viel zu schmalen Gang, stolpern über hervorstehende Kanten und verheddern uns in der Enge mit anderen Passagieren. Aufgeregt fragen wir einen Mann vom Zugpersonal, ob das überhaupt der richtige Zug ist. Er bejaht. Wir sind zufrieden.

Wir suchen unsere Kabine. Ich nehme nichts um mich herum wahr, blende das Chaos aus und fühle mich wie eine echte Entdeckerin.

Die Kabine ist klein. Vier Quadratmeter, vielleicht fünf. Ein altes Doppelstockbett, das mehr knarzt als steht. Ich freue mich trotzdem: „Ich schlafe oben!“, verkünde ich voller Enthusiasmus, klettere die Leiter hoch und lasse mich aufs Bett plumpsen.

Jetzt bemerke ich: die Bettdecke ist fleckig. Vielleicht war sie mal ein Tatort.

Ich atme durch. In der Luft liegt eine betörende Mischung aus Desinfektionsmittel und Verfall.

Mein Blick wandert weiter zum Waschbecken in der Ecke. Es sieht aus wie eine archäologische Fundstätte für Keime. Es zeigt eine undefinierbare Farbpalette zwischen beige und grau und ganz bestimmt haben sich in ihm bereits bisher unentdeckte chemische Elemente gebildet. Ich entscheide spontan, mir heute Abend einfach nicht die Hände zu waschen.

Ich atme tief durch. War ja klar. Warum passiert sowas immer mir? Andere buchen sich einen romantischen Nostalgie-Trip, bekommen dampfende Teegläser, vorbeirauschende Wüstenlandschaften und einen Traum aus 1001 Nacht. Was bekomme ich? Eine unbezahlte Hauptrolle in Contaigon 2 und wahrscheinlich die Krätze. Ich fühle mich vom Leben betrogen.

Mein Freund holt sein Handy raus, filmt mich. „Und, wie is?“

Ich richte mich auf, mustere das Szenario mit professionellem Blick und fühle mich plötzlich wie eine Hoteltesterin. Ich überlege kurz, nicke fachmännisch und sage schließlich mein ehrliches Fazit: „Es ist echt eklig und joa.“

Er grinst. „Dann guck dir mal die Toiletten an.“

Adrenalin!

Super. Auch hier finde ich meinen ägyptischen Traum nicht. Stattdessen muss ich hoffen, dass meine Blase stark genug ist, um 16 Stunden lang nicht das Horrorklo aufsuchen zu müssen.

Enttäuscht schaue ich meinen Freund an. Irgendwie hatte ich mir das alles anders vorgestellt – aber die Sache mit dem Nachtzug war meine Idee, also kann ich ihm das jetzt schlecht in die Schuhe schieben.

Jetzt heißt es: das Beste aus der Sache machen. Nicht den Mut verlieren. Kopf hoch. Wir beschließen, den Nachtzug ein wenig zu erkunden, und machen uns auf den Weg durch die schmalen Gänge. Ich fühle mich wie Agatha Christie.

Nach ein paar Schritten stoßen wir auf das Raucherabteil. Es sieht aus wie in den 70ern. Aber nicht wie „coole Retro-70er“, sondern einfach wie 50 Jahre alt. Vergilbte Vorhänge, abgewetzte Sitze, ein kalter Rauchgeruch, der sich in allem festgesetzt hat. Wir setzen uns. Ich drehe mir eine Zigarette, ziehe den ersten Zug und fühle mich plötzlich, als würde ich dazugehören – zum Club der rauchenden alten ägyptischen Männer. Mein Freund raucht zwar nicht, aber scheint sich trotzdem wohlzufühlen „Ich bin James Bond“, sagt er.  „Du bist in einem vergammelten Zug in Ägypten“, sage ich.

Am Ende unseres Waggons angekommen, öffnen wir die Tür, wollen zum nächsten wechseln – und entdecken Lebensgefahr. Oder ist das normal? Ich habe keine Ahnung von Zügen. Die Verbindung zwischen den Waggons sieht jedenfalls nicht sehr stabil aus. Würde ich darauf treten, würde ich vermutlich in der Mitte durchfallen, auf den Schienen landen und vom Zug überfahren werden. Ich weiß, dass man das besser nicht tut, aber in solchen Momenten ist mein Hirn komisch und denkt sich: „Guck mal, du könntest jetzt drauftreten und wärst tot. Hahaha!“

Noch bevor ich weiter darüber nachdenken und mein Hirn in einem inneren Monolog beleidigen kann, fasst mein Freund Mut, springt vom einen Waggon zum anderen und will, dass ich es ihm gleichtue. Ich habe Angst. Warum verlangt er so etwas von mir? Will er, dass ich draufgehe? Ich stoße einen Todesschrei aus und springe beherzt auf die andere Seite. Adrenalin.

Im nächsten Waggon – und in den übrigen – gibt es nichts Besonderes zu entdecken. Nur die Duschen haben wir gefunden: kleine 1-Quadratmeter-Kabinen direkt am Gang. Urplötzlich wünsche ich mir unser erstes Hotel in Kairo zurück.

Ernüchtert beschließen wir nach unserer Erkundungstour, schlafen zu gehen. Dann geht das hier alles schnell vorbei, und wenn wir aufwachen, sind wir schon in Luxor. Vielleicht wird ja dort mein Kleopatra-Traum wahr.

Bandenkriminalität?

Bald schon kann ich unter mir gleichmäßiges Atmen vernehmen. Ist der schon eingeschlafen? Wie kann man hier schlafen?? Alles ruckelt, ist laut – und das Bett stinkt.

Ich versuche ebenfalls zu schlafen und lege meinen Kopf auf mein rosa Schweinekuscheltier von Ikea, um nicht mit dem kontaminierten Kopfkissen in Berührung zu kommen.

Aber mein Hirn lässt mich nicht schlafen. Gedanken rattern durch meinen Kopf wie der Zug über die Schienen. Wie schnell fährt der Zug eigentlich? Der ist schon ganz schön schnell. Kann der Zug entgleisen? Was ist, wenn jemand einen großen Stein auf die Gleise gelegt hat? Dann entgleist er doch? Ja, aber warum sollte jemand so etwas tun? Das macht doch keiner. Außer vielleicht irgendwelche Räuber, die den Zug zum Stehen zwingen wollen – und dann morden und brandschatzen. Ob es wirklich solche Banditen gibt?

Was ist, wenn ein Mörder im Zug ist? Das kann ja auch sein. Statistisch gesehen begegnet man in seinem Leben über 30 Mördern, habe ich mal gelesen. Wieso sollte hier im Nachtzug keiner sein? Wäre doch der perfekte Ort für ein Verbrechen. Ob es schon mal so einen Vorfall gab?

Gefangen in meinem Gedankenkarussell mache ich das, was ich immer mache, wenn ich nicht weiterweiß: Ich starte mitten in der Nacht eine Internetrecherche.

„Unfall Nachtzug Luxor“ gebe ich ins Suchfeld ein – und natürlich liefert Google mal wieder:

  • Notbremse! Aufprall! 32 Tote bei Zugunglück in Ägypten
  • Acht Waggons entgleist – elf Tote und Dutzende Verletzte

Ich lese also die Artikel. Lese von Zugkollisionen, Entgleisungen. Dann fällt mein Blick auf einen Artikel, der mich besonders wachhält:

  • Inferno im Nachtzug: 370 Tote – Lokführer bemerkte die Katastrophe nicht!

Mindestens 370 Menschen sind verbrannt oder in den Tod gesprungen, weil der Lokführer nicht gemerkt hat, dass sein Zug brennt. Sieben Kilometer ist der brennende Zug weitergefahren. Die Ursache: ein explodierter Gaskocher. Aber immerhin: keine Bandenkriminalität.

Beunruhigt schlafe ich ein.

Der Tag danach

Ich wache auf. Habe schlecht geschlafen und bin mir relativ sicher, dass ich mittlerweile den Geruch der stinkenden Bettwäsche angenommen habe. Mein Körper fühlt sich klebrig an, als hätte sich eine unsichtbare Schicht aus Staub, Schweiß und abgestandenem Zugmief auf meiner Haut abgesetzt.

Der neue Tag macht mich mutig. Ich beschließe, das Klo zu inspizieren. Wir sind nicht entgleist, nichts ist explodiert und ich habe in einem stinkenden Bett geschlafen – jetzt kann mich das Klo auch nicht mehr schocken. Außerdem ist es locker nicht so schlimm, wie mein Freund erzählt, denke ich und ziehe von dannen.

Keine zwei Minuten später stehe ich wieder in der Kabine. Es ist schlimmer, als mein Freund es erzählt hat.

Frustriert setze ich mich wieder in mein Bett und versuche, mir nicht einzupinkeln.

Bei Tageslicht wird das ganze Ausmaß des Drecks ersichtlich: Die Fenster sind mit einer schmierigen Schicht verklebt, die kaum noch Licht durchlässt. Überall liegt eine dicke Staubschicht. Klebrige, braune Flecken – auf dem Fensterbrett, an der Wand, auf den Sitzen. Sie sehen genauso aus wie die auf dem Klo. Ich entscheide mich, nicht weiter darüber nachzudenken.

Kurz überlege ich, ob ich live auf Instagram gehen oder wenigstens einen Vlog starten sollte. Ich nehme mein Handy, filme die verdreckte Kabine und beginne zu erzählen.

„Biste jetzt Influencer oder was?“ ruft mein Freund. Peinlich berührt packe ich mein Handy wieder weg.

Dann vergeht die Zeit plötzlich sehr schnell. Wir ziehen uns an, packen unsere Rucksäcke, und schon fährt der Zug in den Bahnhof von Luxor ein. Wir steigen aus – ich mit der Hoffnung, dass mein Traum doch noch wahr wird, und einer vollen Blase.

Epilog

Zu hohen Feiertagen bekommen wir immer noch WhatsApp-Nachrichten von Mohamed.

Meine Blase hält 17 Stunden ohne Pinkeln aus.

Ich fahre nie wieder Nachtzug in Ägypten.

Ich fahre nie wieder nach Ägypten.

Und wenn du wissen willst, wie es für mich in Luxor weiterging, dann klick hier:

Heißluftballonfahrt in Luxor - oder: „35 years no accident“

Ein Heißluftballonflug über Luxor – klingt nach einem Traum, oder? Doch was passiert, wenn Chaos in der Luft ausbricht? In meinem Blog erzähle ich von spektakulären Aussichten, unerwarteten Wendungen und warum dieser Flug ein unvergessliches Abenteuer war.

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