Wandern zum Hinteren Gosausee- oder: Überlebenskampf in den Alpen
Prolog
Wandern.
Ich mag Wandern eigentlich gar nicht. Dennoch entscheide ich mich hin und wieder dazu, „wandern“ zu gehen. Für die meisten wäre die Strecke, die ich „wandere“, wohl eher ein moderater Spaziergang, aber ich wandere. Das rede ich mir zumindest ein, um meine nicht vorhandene körperliche Grundfitness zu rechtfertigen.
Das mit dem Wandern würde ich auch sein lassen, wäre da nicht das Problem, dass man manche wunderbaren Orte nur zu Fuß erreicht. Und so kam es, dass ich auch während der Planung meines letzten Roadtrips, der mich unter anderem nach Oberösterreich führte, auf die glorreiche Idee kam, vom Vorderen zum Hinteren Gosausee zu wandern. Letzteren erreicht man tatsächlich nur zu Fuß.
Die Idee war also geboren – nun musste (wie immer) nur noch mein Freund davon überzeugt werden. Schnell hatte ich mir eine Strategie zurechtgelegt, noch einmal ein paar Eckdaten recherchiert, damit ich bei eventuellen Rückfragen aussagefähig bin, und war selbstsicher an ihn herangetreten:
„Du, sag mal, was würdest du davon halten, wenn …?“
Dann folgte mein Vorschlag, den ich sofort mit überzeugenden Argumenten untermauerte:
„Ich bin den Weg schon mal gelaufen, der ist nicht schwer“, brachte ich hervor. Nicht, um ihn davon zu überzeugen, dass er es schafft, sondern dass ich es schaffe – ohne dass er sich wieder meine Klagelieder anhören muss. So wie damals, als ich dachte, es wäre eine gute Idee, in Israel einen Berg (er sagt: „Hügel“) zu besteigen.
„Im Internet steht, das dauert vier Stunden, aber das stimmt nicht – eine Stunde hin, eine zurück. Das war’s.“
„Das ist ganz leicht, da geht’s nur kurz mal bergauf.“
Am Ende willigte er ein und ich sah mich bereits an diesem Tag – zwei Wochen vor der Abreise – in einem winterlichen Märchen flanieren, natürlich ohne konditionelle Probleme oder Schwierigkeiten.

Die Ankunft
Ungefähr zwei Wochen später, kurz vor der Ankunft am Vorderen Gosausee, von dem aus unsere Wandertour starten sollte, wurde ich nervös. Hatte ich die richtige Hose an? Hatte ich die richtigen Schuhe oder sollte ich doch lieber noch Schneeschuhe anziehen? Was ist, wenn der Wanderweg gesperrt ist?
Alle diese Fragen waren spätestens dann vergessen, als ich in meinem dicken Wintermantel, in dem ich aussah wie das Michelin-Männchen, aus dem Auto stieg, mir die kalte Luft von -7 Grad entgegenschlug und ich bemerkte, dass ich statt Handschuhe Socken eingesteckt hatte.
Kalt. Kalt. Kalt., entfuhr es mir, und ich dachte daran, dass unser Hotel ja einen 32 Grad warmen Außenpool besaß und wie schön es doch dort jetzt wäre. Doch nun hatte ich ja die ganze Wandersache eingerührt und jetzt gab es kein Zurück mehr.
Langsam trottete ich vom Parkplatz die paar Meter zum Vorderen Gosausee. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Es sah tatsächlich aus wie ein Wintermärchen: Überall Schnee, das dunkelblaue Wasser des Bergsees und im Hintergrund der Dachsteingletscher, der sich majestätisch über der Szenerie erhob. Fasziniert machte ich Fotos und klopfte mir mal wieder innerlich auf die Schulter. Gut gemacht! Du bist eine gute Planerin. Richtige Entscheidung. Weiter so!
Beseelt von mir, meiner Planungskompetenz und der ganzen Szenerie lief ich los.

Die Wanderung
Die ersten 20 Minuten wähnte ich mich siegessicher. Alles lief super. Hatte ich die Lage doch richtig eingeschätzt! Ganz gemütlich schlenderte ich entlang des Sees und fühlte mich wie ein echter Naturbursche.
Am Ende des Sees führte der Weg in einen Wald. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel ein gelbes Schild, das die Wanderwege auswies. Darauf standen die üblichen Zeitangaben, aber die Zeit für den Hinteren Gosausee war abgeklebt. Was sollte das heißen? War der Weg gesperrt? Mussten wir umkehren? Ein kurzer Moment der Panik – ich fragte meinen Freund. Der winkte nur ab: „Da gäbe es ja sicher ’ne Wegsperrung, wenn das so wäre.“ Ja, stimmt. Wegsperrung gibt’s nicht, dachte ich und schlenderte beruhigt weiter in den Wald hinein.
Kurz darauf entdeckte ich am Waldrand eine Blutspur. Ich wurde nervös. Was hatte das zu bedeuten? Ob es hier Gangster oder wilde Tiere gibt? Bären vielleicht? Was macht man eigentlich, wenn man einen Bären trifft, fragte ich mich. Halten Bären eigentlich Winterschlaf? Oder Winterruhe? Wenn ich noch Haarspray mithätte, könnte ich aus dem Haarspray und meinem Feuerzeug einen Flammenwerfer bauen, überlegte ich weiter. Das würde die Bären abschrecken, war ich sicher. Tiere haben Angst vor Feuer. Ich war zufrieden mit meinen Überlegungen zu einem alternativen Bären-Abwehrsystem und fühlte mich wie Bear Grylls.
Nach weiteren zwanzig bis dreißig Minuten erreichten wir die ersten Steigungen. Moderater Anstieg, sagte ich mir, denn darauf war ich vorbereitet. Kein Problem, halb so schlimm. Wo es bergauf geht, geht es schließlich auch wieder bergab. Noch ca. 20 Minuten. Dann sind wir am Ziel. Das schaffe ich.
Nach weiteren 45 Minuten ging es immer noch bergauf, und ich war noch nicht am Ziel.
Nach einer Stunde wurde ich nervös. Hatte ich mich verschätzt? Hatte ich alles unterschätzt? Hatten wir uns verlaufen? Würde vor mir gleich ein Hexenhaus auf Hühnerbeinen auftauchen?
Meine Kräfte schwanden. Dauernd wurden wir überholt, während ich mich die Höhenmeter hinaufschleppte. Irgendwann überholte uns auch eine Mädelsgruppe, die ein paar Meter vor uns abrupt stehen blieb. Ich bemerkte, dass sie Google Maps checkten. Sie einigten sich darauf, wieder zurückzugehen, da der Weg noch viel zu weit sei. Ich wurde unruhig, ließ mir aber nichts anmerken.
Der Weg wurde immer steiler und rutschiger, meine Gedanken schwärzer und mein Körper schwächer. Sollte ich jetzt anfangen zu beten? An Gott zu glauben? Aber da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Nicht mal Gott könnte mir in dieser aussichtslosen Situation noch helfen. Ich war auf mich allein gestellt und würde höchstwahrscheinlich noch vor Ankunft mindestens ein Bein verlieren.
Ich sah es ein: Ich bin für sowas einfach nicht gemacht. Ich bin zu schwach. Kurz überlegte ich, ob ich eine Szene machen sollte. Einfach auf den Boden niedersinken und meinem Freund mit ersterbender Stimme zurufen: „Geh ohne mich! Lass mich hier zurück! Ohne mich kannst du es schaffen!“ Gerade, als ich zu meiner Vorstellung ansetzen wollte, erinnerte ich mich, dass es hier ja vielleicht Bären gibt und beschleunigte meinen Schritt mit letzter Kraft.
Dann irgendwann, ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, ich muss zwischendruch wohl mehrmals meinen Körper verlassen haben, tauchte er vor uns auf: der Hintere Gosausee. Die letzten Meter sprintete ich fast, getrieben von purer Erleichterung. Dann, ganz in Heldenmanier, stolperte ich. Hose nass. Ich versuchte aufzustehen. Neuer Sturz. Die Mädelsgruppe, die eigentlich umkehren wollte, holte uns genau in diesem Moment wieder ein.
Peinlich berührt machte ich noch ein paar Fotos und Videos vom See, gab mich nach außen aber selbstsicher und cool.
Anschließend machten wir uns auf den Rückweg. Gerade wollte ich meinem Freund von meiner Idee mit dem Anti-Bären-Flammenwerfer erzählen, da gab es auf einmal einen lauten Knall.
Rechts krachte ein paar Meter neben uns eine riesige Lawine den Hang runter. Erschrocken schauten wir uns an. „Der Wanderweg war dann wohl doch gesperrt,“ sagte ich.

Fazit
Anstatt der angedachten Stunde habe ich 2,5 Stunden für den Hinweg gebraucht. Mit Rückweg hat die Wanderung 4,5 Stunden gedauert.
Ich bin mindestens 1,5 Stunden bergauf gelaufen.
Der Wanderweg war tatsächlich wegen Lawinengefahr gesperrt.
In Österreich gibt es ca. 30 Bären.
Wenn du auch mal zum Hinteren Gosausee wandern willst, findest du hier alle Tipps und Fakten:
Hinweis: Werbung, unbeauftragt! Bei diesem Text handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der unbeabsichtigt durchaus eine werbende Wirkung beim Leser haben könnte, ohne dass ich von irgendeinem Unternehmen dafür beauftragt wurde!